Press (only german articles) • KARL RITTER Die Hauchseele des Karl Ritter

In "Atmen" nimmt Gitarrero Karl Ritter den Blues zum Ausgangspunkt

Im Altertum und bei vielen Naturvölkern gab es die verbreitete Vorstellung, dass der Atem oder Hauch Träger der Seele sei. Nach dieser Vorstellung konnte der Atem als Hauchseele seinen Träger verlassen und eine magische, heilende Wirkung erzielen oder als Schattenseele schädigen. Im Verhältnis von Atman und Brahman findet sich im indischen Bereich eine vergleichbare Konzeption. Anhalten und Kontrolle des Atems verbinden Konzentrations- und Ekstasetechniken mit erkenntnistheoretischen und kosmologischen Vorstellungen. Der aus dem Sanskrit stammende Begriff Atman (dt; »Selbst«) ist Zentralbegriff der indischen Philosophie, Bezeichnung der Person des Menschen, speziell seiner geistigen Essenz, verkörpert in Lebenskraft, Bewusstsein, Erkenntnis. Nach der monistischen Lehre des Advaita-Vedanta sind Atman und Brahman, das geistige Absolute, also identisch. Die Erkenntnis dieser Identität führt in Folge zur Erlösung.

"Atmen" nennt sich auch der neue Tonträger vom Gitarristen Karl Ritter und dieser kurze Abriss bezüglich Atem war insofern notwendig, damit man in etwa ein Gefühl erhält in welche Richtung sich Herr Ritter musikalisch bewegt, denn Lebenskraft, Bewusstsein und Erkenntnis ist nicht nur die geistige Essenz der indischen Philosophie, sondern scheint auch eine wichtige Rolle im Gitarrenspiel und vermutlich auch im Leben des Karl Ritter zu sein.
Der 1959 im niederösterreichischen Stockerau geborene Gitarrenvirtuose besinnt sich auf "Atmen" auf das, was er am besten kann, nimmt den Blues als Ausgangspunkt für seine Gefühlsmomente, um damit zu experimentieren, improvisieren und seiner Beseeltheit Ausdruck zu verleihen. »Spielen, nicht üben.«, war sein Motto - ein Abenteuer, das bis heute geblieben ist. Zwischen 1988 und 1994 bediente Karl Ritter als Prinz Karasek das Stromruder bei Ostbahn Kurti & die Chefpartie (seit 1996 Kurt Ostbahn Kombo), 1997 gründete Ritter die Band Sel Gapu Mex, über deren CD »Verliebt« (Windhund; 2002) in der jazzzeit folgendes zu lesen war: »Gitarrenritter Karl der Erste, seine Majestät und Ex-Chef von der Partie reitet gemeinsam mit dem Basskanzler Al Slavik und Christian Eigner, der jeden Drumcomputer und sämtliche Crossrhythmen niedertrommelt, durch die Musikprärie der hohen Improvisationskunst, [..] dabei stellt sich eine Frage: Nämlich, weshalb Karl Ritter nicht weltumjubelter Gitarrenhero ist. Was er seiner Gitarre entlockt, ist weltmeisterlich, von Stagnation seiner Kunst keine Spur, [..] Mit Sel Gapu Mex formierte sich jedenfalls eine Band, die nicht selbstverliebt ist, sondern in die sich Musikfreunde verlieben.«

Weitere Musikexperimente bzw. Tonträgeraufnahmen mit seinen Windhundhaberern Melissa Coleman, Otto Lechner, Herbert Reisinger, Joanna Lewis - sei es "Nuages", sei es als Gastmusiker auf "Songs for the Boys" (beide ebenfalls 2002) - zeigten in beeindruckender Manier die schier endlose Kreativität der "Windhunde" und die impressionistische Kraft Karl Ritters. Diesen drei hervorragenden Alben folgt mit "Atmen" nun also ein Soloalbum des Gitarrero, das zum Einen die Magie der Stille folgt und zum Anderen erneut Unbekanntes zutage fördert, oder, wie es in den Liner-Notes von Martin Lengauer zu lesen ist: »Manchmal kriecht Karl Ritter förmlich in den Korpus seiner Akustischen, klaubt Reste von Kinderliedern und Traummusiken daraus hervor, um im nächsten Augenblick zu verstummen und die Macht der Pause auszukosten.«
Befürchtungen, bei "Atmen" - und Titeln wie "Weite" und "Der Tänzer" - handle es sich um eine vernachlässigbare und schwer nervende esoterische Gitarrendudelei, brauchen dabei keine bestehen, Ritters Gitarrenspiel wie auch die Stücke selbst, was z.B. Melodie und Sound betrifft, gehen ganz andere, eigene, Wege, und folgen zudem seiner Sehnsucht »den Mist, der uns Tag für Tag Ohren, Augen und Hirn verstopft« zu besiegen. Und tatsächlich erzielt "Atmen" auch eine therapeutische Wirkung, entspannt, lenkt ab, zeugt positive Energie anhand mitreißender,leidenschaftlicher, Klangspuren. Leiwand.

Manfred Horak (August 2004)